Claudia hat mit Tusche gezeichnet. Ich schaue auf das Bild und fange spontan an zu singen...

Trotz dem alten Drachen,
trotz des Todes Rachen,
trotz der Furcht dazu!
Tobe, Welt, und springe;
ich steh hier und singe
in gar sichrer Ruh!
Gottes Macht hält mich in acht;
Erd und Abgrundt muss verstummen,
ob sie noch so brummen.

Das ist die dritte Strophe des alten Chorals Jesu, meine Freude, den ich seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr gesungen hatte. Heute passten Text und Melodie und Stimmung. Moll, und doch sich zu Höhen aufschwingend, im starken Kontrast zum "Brummen", das mich dieser Tage und Stunden - am 92. Geburtstag meiner vor 30 Jahren verstorbenen Mutter und am Vorabend des 7. Todestages von Carol begleitet. Tinte und Töne nennt Claudia, was mir da widerfährt.

Gestern sollte unser Urlaub beginnen, wollten wir aufbrechen in Richtung Neuenhagen, Templin, Berlin... Doch es kam anders. Die Nachricht des Todes eines Angehörigen, Mann von Claudias Cousine, Orgelspieler auf unserer Hochzeit, väterlicher Tröster für Claudia in schweren Stunden, erreichte uns noch bevor wir losgefahren waren und wirbelte Urlaubspläne durcheinander. Die Trauerfeier liegt in der entgegengesetzten Richtung ... und Deutschland ist dann doch recht groß.

Ohnehin extrem urlaubsreif und durch die Gedenktage Ende Juli labilisiert, ging bei mir gar nichts mehr. Und die Vernunft gebot uns, nach eingehendem Studium von Bahn- und (gegen alle Überzeugung) sogar Flugplänen, einzusehen, dass nun Absagen erforderlich sind, und wir erst einmal zu Hause bleiben würden, um von hier zur Trauerfeier zu fahren und dann weiter in den Urlaub - wenn auch auf völlig anderer Route. Was ich dadurch verpassen würde, durfte ich wenigstens auf Fotos sehen. Hinter meinem Rücken hatte Claudia veranlasst, dass ein bunter Sommerstrauß mit den Lieblingsblumen meiner Mutter auf mich warten würde. Nun geht es einen anderen Weg.

Die Nacht habe ich schlecht geschlafen. Der neue Tag begann für mich mitten in der Nacht. Als es dann hell wurde, hat mich Claudia die acht Vornamen meiner Mutter rezitieren und dann noch etwas schlafen lassen, während sie Tagebuch schrieb und mit Tinte werkelte. Tuschezeichnungen haben ja immer etwas von Rorschachtests. Als ich ein Blick auf die Seiten warf, sah ich den "Drachen" sofort ... und stimmte die obige Strophe des Liedes an. Ganz spontan, völlig frei assoziierend. Und doch so unglaublich treffend, wie man es nicht machen kann.

Ganz alte Erinnerungen steigen auf. Jesu, meine Freude war das Lieblingslied meiner Religionslehrerin geworden, das ihr Halt und Stütze gab, nachdem ihr Mann sich aus dem Leben verabschiedet hatte: "Weicht ihr Trauergeister" war geradezu zum Lebensmotto dieser starken Frau geworden. Ganz aktuell nehme ich den massiven Regenguss wahr, der mit Gewalt auf unsere Dachfenster prasselt und erinnere die Textzeile "ob es jetzt gleich kracht und blitzt..."  Es tut gut, zu wissen: " Unter deinem Schirmen bin ich vor den Stürmen aller Feinde frei." Nirgendwo verheißt uns die Bibel ein sorgen- und leidfreies Leben. Doch dürfen wir geborgen, gehalten, bedeckt sein.

Während ich diese Zeilen schreibe, hat Claudia ihr Bild vollendet. Es ist schön geworden, finde ich.

 

jesu meine freude

Tageslosung vom 29. Juli 2023

In der Zeit meiner Not suche ich den Herrn; meine Hand ist des Nachts ausgereckt und lässt nicht ab.
Psalm 77,3

Jesus sprach zu den Jüngern: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet mit mir! Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf sein Angesicht und betete.
Matthäus 26,38-39
 

Gewidmet all jenen, die mit Traurigkeit angesichts des Todes zu kämpfen haben.