Zwei Wochen nach dem Gedenken an Waco befinde ich mich in einer heißen Waffendiskussion: Mit einem adventistischen Pastor, der es geradezu für seine Christenpflicht hält, bewaffnet in den Gottesdienst zu gehen, um Menschenleben zu schützen, sollte ein Angreifer das Gotteshaus betreten.

 

Verbotsschild, wie es an manchen amerikanischen Kirchen zu finden ist. In den USA sind im vergangenen Jahr 20.200 Menschen durch Feuerwaffen ums Leben gekommen und wurden 647 Schießereien (mass shootings) berichtet. Da ist der Impuls, seine Familie, seine Gemeinde schützen zu wollen - mit allen Mitteln - verständlich. Auch in Deutschland steigen die Beantragungen von Waffenbesitzkarten und Waffenscheinenb- nicht zuletzt als Reaktion auf zunehmende Gewalt in der Gesellschaft. Und dennoch beschleicht mich Unbehagen - als Theologe, als Christ, wenn die Antwort auf Waffen Waffen ist.

Mein Kollege (wir kennen uns nicht persönlich) wirft mir kulturelle Voreingenommenheit und Ignoranz vor, weil ich zum Ausdruck bringe, Europäer hätten wenig Verständnis für Diskussionen über Waffen im Gottesdienst. Und damit hat er nicht ganz Unrecht. Die Gewaltenteilung, die wir in Europa insbesondere im Blick auf das Führen von Waffen praktizieren, steht einer völlig anderen Grundordnung in den USA gegenüber, wo jeder Bürger das Recht auf Waffen durch die Verfassung garantiert bekommt. Ob Waffen in Gotteshäusern offen, verdeckt oder gar nicht getragen werden dürfen, ist vor allem ein versicherungstechnisches Problem, das juristisch zu lösen ist. Wird hier der Versuch eines theologischen Nachdenkens unternommen, so wird von jenen, die das kirchliche - oder sogar pastorale Waffentragen befürworten, auf das Alte Testament verwiesen und daran erinnert, dass sogar Petrus ein Schwert mit sich führte. Mir erscheint das aberwitzig, weil ich Nachfolger Jesu bin ... der eben diesen Petrus für den Gebrauch seines Schwertes zurechtgewiesen hat, der auch gesagt hat: "Setzt euch nicht zur Wehr gegen den, der euch etwas Böses antut. Im Gegenteil: Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halt ihm auch die linke hin." (Matth. 5,39 NGÜ).

Doch noch während ich mit fast selbstgerechter Empörung diese Zeilen schreibe, denke ich an den Ukraine-Krieg. Bin ich hier etwa nicht geneigt, der Logik der Waffen zu folgen? Müssen wir nicht Optionen zur Verteidigung schaffen? Sind nicht die friedensbewegten Grünen zu den stärksten Befürwortern von Waffenlieferungen und ist nicht das schutzlose Ausliefern gegenüber dem Feind gerade Markenzeichen der AfD geworden? Verkehrte Welt. Kulturelle Voreingenommenheit. Verwirrung. Ich wünschte, es wäre einfacher, eindeutiger, klarer. Ich wünschte, Friedenspädagogik und Friedenslogik würden die Gesellschaft wie Sauerteig durchdringen und vor allem schneller. Ich wünschte Kirchen und Gemeinden - ja auch meine - hätten sich klarer zu Gewaltlosigkeit bekannt. Hätte, hätte ... Fahrradkette. Und nun?

Ich bin herausgefordert, neu über die Radikalität des Jesus von Nazareth, des Christus nachzudenken.