Glänzende Baumstämme, berührendes Grün. So die ersten Impressionen am Anfang unseres Urlaubs.
„Baustellenabnahme“, so titelten wir unseren Besuch auf dem Friedhof meiner Heimat. Mein Leben lang ging ich dieselben Wege, gedachte meiner Urgroßeltern, Großeltern, Geschwister, Verwandten, bestaunte Blumen und Büsche, Grabsteine und Initialen. Da, wo vor Wochen noch ein Grab an meine Eltern erinnerte, ist nun neues grünes Gras gepflanzt. Den Ort werde ich immer finden, bin ich den Weg doch mein Leben lang gegangen. Doch die Erinnerungen werden verblassen. Alles hat seine Zeit. Als Tochter des Malermeisters bin ich oft mit meinem Vater noch ein letztes Mal an Orten gewesen, um zu sehen, ob der Auftrag ausgeführt wurde und alles so ist, wie besprochen. Daher der Titel. Ja, das Grab ist geräumt, der Grabstein weg, die Fläche eingeebnet. Da, wo lange nichts blühte, ist neues Gras gepflanzt.
Es ist ein Regentag. Nie hat mich der Glanz der Buchenbaumstämme auf dem Friedhof so berührt wie heute. Eine neue Sicht, ein eigener Moment, am Ort meiner Kindheit. Auch das Grün im Ruhrgebiet, entlang der Autobahnen, tat mir einfach gut. Ich liebe diese Vielfalt der Grüntöne, die Geborgenheit, die davon ausgeht. Die Stadt allein zieht mich nicht mehr an, es sind doch immer wieder die Menschen, die Orte der Erinnerung, meine eigene Geschichte.
Am Abend schrieb ich ein Gedicht:
Die eigene Sicht
Grünes Gras – Gras drüber gewachsen
Glänzende Buchen Bäume – lustige Gräber
Friedhofsimpressionen.
Grüne Bäume – vielfältiger Mischwald.
Geborgenheit im Autobahnflair
Autobahn – Umweg – Wege.
Edelfrühstück zum Schlapplachen
Selbstgemachtes und gut Gefundenes –
Rundumversorgung.
Familienglück –
Manchmal braucht es lange, es zu sehen,
neu zu verstehen,
versöhnte Geschichten –
mit Lebenden und Toten.
Generationswechsel.
Ruhrpottkind
Masurengene
Heimatgefühle
neue Wege
Ruhe(n) ist Bewegen in Stille.
Unsere erste Woche war gefüllt mit Begegnungen und Erinnerungen, ob mit Familie oder Freunden, neuen und alten Gesichtern, vertrauten und ungewohnten Wegen. Lachen und Weinen gaben sich die Hand. Dankbar blicke ich zurück und feiere das Leben nach vorne gewandt: Auferstehungsmesse.
Wurzeln und Wachsen wird ein Begriffspaar, das mich begleitete und die Frage nach Licht und Farbe. Endlich einmal Bonn besuchen. Triste Kirchenfenster bringen mich zum Denken, sind sie ernüchternd und inspirierend zugleich. Was heißt es, wenn Farbe fehlt? Das Leben schwarz-weiß dargestellt wird und Bilder zum Ausmalen einladen? Die Kirchenfenster in Bonn gaben mir die Frage mit und Familiengeschichten bewegen mich.
Ungeplant in Berus angekommen, sind es Bäume, mit denen ich Geschichte teile. Bücher, die mir Seelsorger waren. Klänge, die mich belebten. Erinnerungen an eine schwere Zeit teile ich heute gerne und staune über heilsame Erfahrungen. Eine Stimmgabel ist mir Begleiterin in der Tasche und ich weiß, wie stimmig und frei ich bin. Heute. Vor 15 Jahren begann ich hier wieder zu pfeifen, zu singen, zu tanzen, zu lachen. Träume bewegen mich. Im Schlaf und am Tag. Leben entfaltet sich im Gehen.
Erinnerungen folgend führte uns der Weg nach Metz und wir sammelten auf den Landstraßen Frankreichimpressionen. Doch unser Ziel war die Kathedrale mit ihren Chagall-Fenster, die seit 2008 als Postkarte in meinem Büro hängen. In der Kathedrale habe ich damals gesungen: Großer Gott, wir loben Dich! … und manche Zeile mehr. Jetzt saß ich still. Staunend, betrachtend, empfangend.
Das Licht, durch die Farben der Fenster war für mich an diesem Urlaubstag Licht- und Farbtherapie. Das Licht in der Sakramentskapelle, das Gelb hat mich berührt. Das Farbspiel tat meiner Seele gut! Vor Chagalls Bild zum brennenden Dornenbusch dachte ich an meine Berufung. Doch viel mehr an den „ich bin, der ich bin“. Gott ist gegenwärtig. Gott war gegenwärtig. Ich brauche Licht, Farben, Weite.
Tage später schreibe ich: Es ist wichtig für mich innezuhalten, aufzuschreiben, weiterzuziehen. Bewegte Freude verharrt nicht, bleibt lebendig, im Fluss. Mittlerweile sind einige Tage ins Land gegangen, Bilder gemalt, Worte geschrieben, Gedanken bewegt. Ich bin sinnlich bereichert. Auf vielfältige Weise. Wir haben mehr als einen Friedhof in diesen Wochen besucht. Abschied genommen. Leben gefeiert. Und ich notierte nach einigen Tagen:
Wertschätzen – ohne vergessen
Innehalten – ohne zu verharren
Erinnern – ohne stehen zu bleiben
Weiterziehen, nach vorne sehen.
Wieder wird mir ein Buch zur Seelsorgerin, geschenkt von meinem Mann. Bei Marica Bodrožic lese ich: „Alles braucht einen Kontrast, einen Umweg (damit die inneren Bewegungen und das leise Denken sich neu ausrichten können), eine geistig-seelische Komplementärfarbe, die alle Müdigkeit abstreift und hellwach macht (…) Güte ist hellgelb.“